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„Big Tech“: Problematik und Widersprüche

Verantwortlicher Autor: Dr. Bernd Strecker Bad Schönborn, 06.05.2021, 19:51 Uhr
Kommentar: +++ Kunst, Kultur und Musik +++ Bericht 9076x gelesen

Bad Schönborn [ENA] Etwa seit Anfang dieses Jahres macht sich eine interessante, nicht nur vordergründig intellektuelle Entwicklung innerhalb des europäischen Medienbereichs bemerkbar, die mit einiger Härte geführt wird. Nach Auffassung eines Teils der Protagonisten erreicht dieses vehement geführte Vorgehen, so hört und liest man, in seiner Zielsetzung sogar die Grundfesten der westlichen Demokratie.

Demgegenüber halten die Angegriffenen diese Einschätzung für eher übertrieben. Sie berufen sich auf den vorgegebenen rechtlichen Rahmen, den sie durchgehend befolgen. Somit sei ihr Handeln grundlegend wie durchgehend legitimiert, also keineswegs - wie von der anderen Seite unterstellt - in irgend einer Weise anrüchig. Die Angegriffenen sind die sogenannten großen „Big Tech“-Vier: Google, Facebook, Apple und Amazon.

Als einer der Höhepunkt dieser Auseinandersetzung kann ein längerer Offener Brief in der überregionalen Zeitung DIE WELT (28.01.2021) gelten - verfaßt von Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE, zu der auch DIE WELT gehört. Der Titel des Briefes von Döpfner beinhaltet bereits das Programm: „Totale Transparenz endet immer totalitär“. An sich geht es in der vielschichtigen Auseinandersetzung um zwei wesentliche Punkte.

Zunächst wird den vier Firmen Steuerhinterziehungen vorgeworfen. Sie würden gezielt solche Länder für sich benutzen, deren Steuersätze extrem niedrig sind. Dieses Argument sticht aber deshalb nicht, weil internationale Steuerharmonisierungen schon über Jahre hinweg keine Erfolge bringen, zumal entscheidende Lobbyisten dagegen erfolgreich Front gemacht haben und machen. Hier hat sich die EU bereits an einigen Stellen festgebissen und zielt auf grundlegende Veränderungen.

Beim zweiten Punkt handelt es sich um einen Aspekt der grundlegenden und umfassenden Beeinflussung. Hier setzt Döpfner mit seiner eigentlichen, immanenten Kritik an. Einige seiner Kernsätze lauten: „Es geht darum, dass Technologieplattformen aus Amerika und China im Begriff sind, die Souveränität der Bürger in Frage zu stellen, also den Souverän zum Untertan zu machen und damit Demokratie und offene Gesellschaft zu unterminieren. Es geht um Freiheit, Rechtsstaat und Menschenrechte. Es geht um die Idee des modernen Europas“ (S. 1).

Und weiter heißt es: „ ... dass das Geschäftsmodell der werbefinanzierten Plattformen darin besteht, ihre Kunden auszuspähen wie Geheimdienste. Im Falle der Plattformen besorgen das Algorithmen. Algorithmen sind das Produkt menschlicher Programmierung. Algorithmen klingen neutral. Sie sind es nicht. Sie sind das Ergebnis menschlichen Willens“ (S. 1). Und: [...] „Algorithmen analysieren unser Verhalten und sagen uns, was wir wollen sollten“ (S. 1).

Schließlich: „Wir, die Bürger, geben unser Innerstes, unser Privatestes preis - zur Optimierung des Werbeumsatzerlösmaximierungsmodells der Plattformen. Je transparenter die Bürger, desto reicher die Plattformen“ (S. 1). Als Alternative dazu führt Döpfner aus: „In der EU sollte es Plattformen verboten sein, private (also persönlichkeitsrelevante und sensible) Daten zu speichern und für kommerzielle Zwecke zu verwenden. Dies muss Gesetz werden“ (S. 2).

Wir folgen Döpfner in der Problemauffächerung gänzlich, sind aber im Rahmen fortschreitender Digitalisierung und ihrer Potentiale äußerst skeptisch hinsichtlich der arbeitswirksamen Ausgestaltung eines Gesetzes. Die Adressatin seiner Zeilen, Frau von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission, scheint unseres Erachtens ebenfalls Bedenken in dieser Richtung zu haben. Bei ihrer Antwort formuliert sie in der Überschrift: „Wir müssen die Macht der Internetkonzerne einhegen“. Der gewählte Begriff „einhegen“ ist in diesem drastisch und dramatisch sich darstellenden Zusammenhang äußerst zahm und nahezu friedfertig.

Der radikale Lösungsvorschlag von S. Beutelsbacher (Das Rockefeller-Szenario, s.u.) löst das anstehende Problem nicht, weil zeitlich extrem unterschiedliche Situationen und ihre speziellen Gegebenheiten miteinander in Beziehung gesetzt, sozusagen ‚Äpfel mit Birnen‘ verglichen werden. Auch das Angebot von F.v. Schirach in seinem im April 21 publizierten Büchlein „Jeder Mensch“ (s.u.) scheint uns eher von akademischer Bedeutung zu sein. Da überzeugt besser die Entgegnung von N. Clegg, Vice President Global Affairs bei Facebook, „Europa darf nicht jede Datennutzung verbieten“ s.u.).

Interessant und delikat ist zudem, dass der einflussreiche TV-Sender „arte“ nahezu zeitgleich und parallel zu Döpfners Artikel eine exzellent untersuchte und aufbereitete 3-teilige Sendung zum Aufstieg des berüchtigten Medienmoguls Murdoch gesendet hat. Durch Murdoch von langer Hand gesteuert wurde die katastrophale Beeinflussung ganzer, führender Nationen mit rechtlich höchst unsauberen Mitteln von „arte“ dargestellt. Ohne Murdochs „Fox News“ wäre zum Beispiel auch ein Donald Trump nie zum amerikanischen Präsidenten „gewählt“ worden. Und wer kann überzeugend sagen, ob er nicht nochmals antreten wird ?!

Wir stellen also bewusst die Parallelität zweier einflußreicher Medienbereiche in den Mittelpunkt, wobei die Korruptheit Murdochs einzigartig ist und von den Gerichten nachgewiesen sowie geahndet wurde. Immerhin hat sich aber trotz dieser Gemengelage in der letzten Zeit ein grundlegendes „Comeback“ von Murdoch eingestellt. In beiden Fällen geht es zunächst um ein grundlegendes Beeinflussen von Menschen, wobei die benutzten Mittel jedoch äußerst unterschiedlich sind. Es muss deutlich darauf hingewiesen werden, dass sich Google und Co. - trotz aller Gefahren für den Einzelnen - keineswegs in einem gesetzlosen Raum bewegen.

Dagegen scheint uns die Argumentationsweise von Döpfner eher ambivalent und letztlich kaum zielführend zu sein, weil sie wichtige Aspekte der Wirklichkeit ausklammert. So macht, wie dargestellt, Döpfner den Big Four zum Vorwurf, mit Hilfe von speziell entwickelten Algorithmen eine übermächtige Beeinflussung seiner Kunden voranzutreiben. Wir fragen jedoch: Warum liefern Kunden gegenüber Facebook oder den anderen großen Tech-Firmen permanent Fakten über sich selbst, und das ohne Zwang?

Die vielfältigen Konsequenzen sollten Ihnen doch an sich wohlbekannt sein, zumal laufend darauf hingewiesen wird. Einerseits plädiert Döpfner für flankierende gesetzliche Maßnahmen, anderseits stellt er aber das sehr schwierige individuelle Demokratieverständnis und seine Umsetzung ganz oben auf die Agenda für unser gesellschaftliches Leben. Wo bleiben da konsequenterweise die entsprechenden Hilfen für den Einzelnen?

In Zeiten der Corona Epidemie berichten L. Meyer / Ph. Vetter über die „Verleihung des Axel Springer Awards“ an das Ehepaar Ugur Sahin und Özlem Türeci, das den ersten Impfstoff entwickelt und auf den Markt gebracht hat. Diese Leistung ist wirklich von überragender Bedeutung; sie wird noch durch die kurz zuvor vollzogene Auszeichnung durch den Bundespräsidenten unterstrichen. Am Ende des genannten Berichts informieren schließlich die Autoren: [Die beiden Wissenschaftler] „sind die sechsten Träger des Axel Springer Awards. Mit dem Preis wurden in der Vergangenheit unter anderem Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, Amazon-Erfinder Jeff Bezos [...] ausgezeichnet. Der Preis wird einmal jährlich vergeben“.

Es erscheint kaum nachvollziehbar, dass die zuletzt genannten Preisträger (damals) Preis-würdig, (heute) jedoch - wie oben beschrieben - grundlegend angreifbar seien. Nach einer möglichen Begründung befragt, antwortet der Initiator Döpfner, er sei über die spätere Entwicklung besagter Konzepte sehr überrascht gewesen und habe sie anfänglich überhaupt nicht für möglich gehalten. Wir sind da ganz anderer Ansicht. In Wirklichkeit hat Döpfner - wie auch viele andere vor ihm und immer noch - in unverantwortlicher Weise über ‚Digitalisierung‘ blauäugig geplaudert.

Die Umsetzung der Digitalisierung ist ein äußerst schwieriges Unterfangen und wird durch die Kontexte der Arbeitsschritte und deren Zielsetzung gesteuert. Je dichter die Kontexte und je inhaltsgeladener die Arbeitsschritte sich darstellen, umso variationsgenauer müssen die digitalen Versatzstücke eingepasst werden. -- Interessant könnte in diesem Zusammenhang vielleicht auch die Ende April 21 erschienene Nachricht (BNN, s.u.) sein: „Kein Geld für digitalen Umbau. - Bund stoppt überraschend Pläne für Millionenförderung von Presseverlagen“. Dann heißt es lakonisch: „Nähere Informationen gab es nicht“.

——————— Literaturhinweise (chronologisch): Döpfner, M.: Offener Brief an die Präsidentin der EU-Kommission - Totale Transparenz endet immer totalitär. In: DIE WELT, 28.01.2021, S. 1-2. // Von der Leyen, U.: Gastbeitrag / Antwort - Wir müssen die Macht der Internetkonzerne einhegen. In: DIE WELT, 29.01.2021, S. 1-2. // Clegg, N.: Europa darf nicht jede Datennutzung verbieten. In: DIE WELT, 01.02.2021, S.2. (Mathias Döpfner, Vorstand von Axel Springer, forderte, die Macht der Tech-Firmen zu brechen. Nick Clegg, Politikchef bei Facebook, gibt ihm in einem Punkt recht - und widerspricht vehement bei einem anderen.) –

(Der Autor [N. Clegg] ist Vice President Global Affairs bei Facebook und war von 2010 bis 2015 Parteichef der Liberal Democrats und von 2010 bis 2015 außerdem stellvertretender Premierminister Großbritanniens.) // Reck, J.: Schicksalsfrage unserer Demokratien. In: DIE WELT, 08.02.2021, S. 1-2. (Die Macht der Tech-Giganten Google, Apple, Facebook und Amazon zu brechen[,] entscheidet über die wirtschaftliche und politische Zukunft der westlichen Welt. Ein Plädoyer für eine konsequente Regulierung.) // Der Aufstieg der Murdoch-Dynastie. 3-tlge Dokureihe, GB 2020. In: arte, 16.02.2021, 20:15 bis 22:45 h.

(1) Der Königsmacher. (Rupert Murdoch besitzt den Nachrichtensender „Fox News“, die Tageszeitungen „The Times“ und „The Sun“ sowie hunderte weitere Medienunternehmen. Die Reihe schildert Murdochs Weg von seinen Anfängen in der australischen Regionalpresse bis an die Spitze eines global agierenden Imperiums und gibt Einblicke in die Maschinerie seines politischen Einflusses.) - (2) Die Allianz der Rebellen - (3) Das Comeback.) // Fürst, B.: Wettbewerb unter Tech-Riesen wird härter. In: DIE WELT, 20.02.2021, S.: 10. (Angesichts ihrer Marktmacht wächst der Druck, die US-Konzerne stärker zu regulieren. Als Reaktion verschärfen sie die Konkurrenz untereinander.) //

Facebook sperrt Nachrichten-Seite der Militärjunta. In: DIE WELT, 22.02.2021, S. 7. (In Myanmar sind erneut Menschen bei den Protesten gegen den Putsch getötet worden. Die EU könnte bald über Sanktionen gegen das Land beraten.) // Meier, C.: Facebook rudert zurück. In: DIE WELT, 24.02.2021, S. 21. (Erst hat das soziale Netzwerk in Australien den Stecker gezogen. Jetzt stellt es den Strom für Verlage wieder an - der öffentliche Druck war zu groß.) // Beutelsbacher, S.: Das Rockefeller-Szenario. In: DIE WELT, 02.03.2021, S.: 3. (Vor 100 Jahren führte Amerika einen Feldzug gegen Monopole.

Firmen, die ihre Macht missbrauchten, wurden zerschlagen - wie der Ölgigant Standard Oil. So sollte das Land nun auch mit Google und Co. umgehen.) // Meyer, L. / Vetter, Ph.: Bescheidene Forscher in einer Welt voll Lärm und Spekulationen. In: DIE WELT, 20.03.2021, S. 11. ( Ugur Sahin und Özlem Türeci haben als Gründer von Biontech den ersten wirksamen Impfstoff gegen Corona entwickelt. Die Wissenschaftler nutzten die Verleihung des Axel Springer Awards, um für mehr Pragmatismus zu plädieren.) // Schirach, F.v.: Jeder Mensch. Luchterhand Verlag. April 2021.

([...] Heute stehen wir vor ganz neuen Herausforderungen. Globalisierung, Digitalisierung, künstliche Intelligenz, Klimawandel: Die Gefahren, denen wir heute ausgesetzt sind, waren vor 200 Jahren noch nicht einmal vorstellbar. Wir brauchen deshalb neue, zusätzliche Menschenrechte. [...] // „Kein Geld für digitalen Umbau. - Bund stoppt überraschend Pläne für Millionenförderung von Presseverlagen“. In: Badische Neueste Nachrichten, 28.04.2021, S. 9.

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